Tatort Silbersteg/ Die Pfennigparade

Ein schwüler, drückender Sommertag im Jahre 1955. Lustlos saß ich nachmittags an meinen Lieblingsplatz am Kloster in der Wiese unter dem großen Walnussbaum und blickte gelangweilt in die Natur. Die Klopfgeräusche des Klosterschusters, dessen kleines Backsteinhäuschen gleich nebenan in der Wiese stand waren heute auch nicht zu hören. Da tauchte plötzlich der Martin mit dem Fahrrad auf. Martin, ein hochaufgeschossener liebenswerter Schulkamerad. "Heli, host net Lust, fahr ma zum Eisesss'n in de Augsburger Strass?" "I hab doch koa Radl." "Nimm doch wieder des schene Miele-Radl vo Deiner Muatta." Gesagt getan. Ich schlich mich heimlich in die Holzlege und stibitzte das Rad - und schon waren wir auf dem Weg durch den heutigen Stadtpark.

"Fahrn ma glei durch'n Suibersteg, da samma schneller", hechelte ich. Bei der Aumühle schossen wir mit hoem Tempo in die schmale Gasse, über das Brückerl der Kneipp Insel und durch den historischen Torbogen über die Amper. In den fünfziger Jahren gingen dort wenige Leute durch den Steg, so dass wir gut Tempo machen konnten.

Kurz bevor die Durchfahrt immer enger in Richtung Schöngeisinger Straße mündete, stiegen wir von unseren Rädern und schoben sie bis zur Straße. Als wir beim Schuhaus Mall auf die Straße wollten, stand er da: der Schandi, wie wir die Polizeibeamten damals nannten. Ich seh ihn heute noch stehen. Ein großer sportlicher Typ, den Kopf nach oben gedreht, dass mir seine Nasenlöcher wie zwei Höhlen vorkamen. Die Daumen im Gürtel versteckt, säußelte er uns an: "Ja, was fällt euch denn ein. Ihr wisst doch, dass man da nicht durchfahren darf." "Mir san ja gar net g'fahrn", versuchte Martin die Sache herunterzuspielen."Red net, ich hab euch von der Brücke zur Lände fahren seh'n."

Adrenalin hat die Eigenschaft, dass der Denkprozess sich beschleunigt, und ich dachte, so schnell konnte er gar nicht hier sein und so behauptete ich stur: "I bin net g'fahrn, und wenns ehana auf'm Kopf stelln und mit de Fiaß' wackeln." Den Spruch hatte ich mir von meiner Mutter angeeignet. "Sei net so frech du Rotzlöffel, aber Du bist gefah'rn weil Du der größere bist und ich hab deinen Kopf geseh'n. Morgen erwarte ich dich auf der Wache und Du bringst fünf Mark mit, dass Die auskennst." Sprach's und verschwandt in Richtung Hauptstraße. Allmählich verfärbte sich Martins roter Kopf wieder zur Normalfarbe und er presste hervor: "Dem huif i, der griagt de fünf Mark in lauter Pfenning, da kann er si abarbert'n." " Da huif i da," stieß ich hervor und wir begannen in vielen Geschäften gleich mit dem Umtausch unseres restlichen Taschengelds in Pfennige. Eisessen war kein Thema mehr. Tags darauf; es war fünf Uhr nachmittags, trafen wir uns wieder und Martin kam schmunzelnd mit einem Säckchen in der Hand auf mich zu. "I bin g'spannt." Gemeinsam gingen wir zur Polizeiwache, die damals noch in der Kirchstraße residierte. Mit angespannter Mine verschwandt er hinter der Türe. Ich blieb heraußen und wartete. Für mich eine Ewigkeit, bis Martin mit gelöster Miene wieder erschien: "Alle hams gezählt und unserm Schandi hams ausg'glacht."

Diese Pfennigparade hatte ich dem Martin hoch angerechnet und ich hatte großen Respekt vor seiner Idee.

Von Helmut Prabst

 




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