Beitrag RathausReport Januar 2023: Der Beginn der Städtepartnerschaft mit Cerveteri im Jahr 1973

In letzter Zeit waren und sind die deutsch-italienischen Beziehungen angespannt. Hierzu trugen die Euro-Krise, die Migrationsbewegungen seit dem Jahr 2015, die Pandemie und eine partiell unterschiedliche Einschätzung Russlands bei. Beide Länder waren und sind jedoch erheblich aufeinander angewiesen. Eine gute sowie enge Kooperation zwischen Italien und Deutschland ist lebenswichtig für ein friedliches, demokratisches und freies Europa.

Historisch waren die beiden Staatsgebilde über Jahrhunderte eng miteinander auf vielfältige Weise verflochten, man denke nur an das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“. Beide Staaten waren danach zudem im Nationsbildungsprozess im Vergleich zu Frankreich und England Spätentwickler. Italien fand erst Anfang der 1860er-Jahre durch Giuseppe Garibaldi sowie
Giuseppe Mazzini und deren Mitstreiter zur staatlichen Einheit, Deutschland sogar erst im Jahr 1871 durch Bismarck aufgrund des deutsch-französischen Krieges. Die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland und die faschistische Diktatur in Italien sowie ihre aufeinander bezogene politische Zusammenarbeit waren ein weiteres, unheilvolles Kapitel in der Geschichte beider
Staaten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren alle Regierungen in beiden Ländern bemüht, miteinander ein geeintes, friedliches und freies Europa neu aufzubauen, insbesondere Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer, aber auch alle jeweiligen Nachfolgeregierungen. Das ehemalige faschistische Italien und das ehemalige nationalsozialistische Deutschland waren besonders darauf angewiesen, in den Kreis der demokratischen europäischen Wertegemeinschaft zurückkehren zu
können. Der Franzose Robert Schuman, der italienische Ministerpräsident de Gasperi und der deutsche Bundeskanzler Adenauer, die alle den Zweiten Weltkrieg miterlebt hatten, waren folgerichtig am Aufbau der Montanunion entscheidend beteiligt. Die Montanunion mit der europäischen Vernetzung von Bergbau und Stahlproduktion war ein wichtiger Wegbereiter der EU. Sowohl Italien als auch Deutschland gehörten zu den Gründungsmitgliedern der heutigen EU, die Vereinbarungen hießen nicht ohne Grund „Römische Verträge“. Die Aussöhnung Deutschlands und Frankreichs war eine der zentralen Voraussetzungen für das Funktionieren der EWG, der EG und der EU.

Ein zentrales Element dieser Aussöhnungspolitik bestand in dem Aufbau von Städtepartnerschaften zwischen französischen und deutschen Kommunen. Das französische Livry-Gargan und Fürstenfeldbruck gingen im Jahr 1967 eine Städtepartnerschaft ein. Auch die italienisch-deutschen Städtepartnerschaften spielten bei der Vertiefung der politischen, wirtschaftlichen und menschlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern eine wichtige Rolle.
Bereits in den 1950er-Jahren gingen Kommunen aus Italien und Deutschland Partnerschaften ein, die ersten Städtepartnerschaften vereinbarten im Jahr 1956 Bad Homburg mit Terracina in Latium sowie Florenz und Kassel im Jahr 1958. Ebenfalls im Jahr 1958 gingen Turin und Köln eine Städtepartnerschaft ein, im Jahr 1960 verschwisterten sich Verona und München. In den 1950er- Jahren „entdeckten“ massenweise deutsche Touristen das Mittelmeerland Italien, vor allem die
Adria, und im Jahr 1955 wurde das deutsch-italienische Anwerbeabkommen unterzeichnet, in dessen Gefolge italienische „Gastarbeiter“ nach Deutschland kamen.

Livry-Gargan und der italienische Ort Cerveteri waren im Jahr 1969 eine französisch-italienische Städtepartnerschaft eingegangen. Im Jahr 1970 kam vor allem deshalb in Livry-Gargan, Cerveteri und Fürstenfeldbruck die Idee auf, eine Städtepartnerschaft zwischen Fürstenfeldbruck und Cerveteri ins Leben zu rufen. Die Stadtspitze von Livry-Gargan war also ein entscheidender Geburtshelfer der angedachten Städtepartnerschaft Cerveteri-Fürstenfeldbruck.
Cerveteri liegt rund 40 Kilometer westlich von Rom, gehört also zur Region Latium. Der Ort war eine etruskische Gründung mit eindrucksvollen Hügelgräbern und spielte für das Römische Reich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Stadt war und ist vom Weinbau dominiert, sie hatte im Jahr 1971 etwa 9.000 Einwohner. Die Herstellung erster Kontakte zwischen Cerveteri und Fürstenfeldbruck fand im Jahr 1970 über Livry-Gargan statt, der Anlass der ersten Begegnung war der Fußball. Die Stadt
Cerveteri nahm diesen Ball auf und leitete Gespräche mit der oberbayerischen Stadt Fürstenfeldbruck ein.
Immer bedarf es vor Ort engagierter Persönlichkeiten, die ein Unterfangen wie eine Städtepartnerschaft vorantreiben. In Fürstenfeldbruck war dies vor allem der Stadtrat und Kulturreferent Dr. Lorenz Lampl (1917–1993). Die Städtepartnerschaft zwischen Fürstenfeldbruck und Cerveteri sollte die Freundschaft zwischen Deutschen und Italienern festigen, das Zusammenfinden der Bürgerinnen und Bürger ermöglichen sowie die Partnerschaft durch kulturelle und menschliche Begegnungen aufbauen.

Die Städtepartnerschaft sollte zum dauerhaften Frieden und zur Einigung Europas beitragen. Lampl schrieb am 27. Juni 1973 zur Begrüßung der italienischen Delegation im Fürstenfeldbrucker Tagblatt: „Mein liebes Cerveteri! Ich möchte Dir heute, an dem Tage, der Dich als Patenstadt an die Seite von Fürstenfeldbruck führt, ein paar Worte sagen, wie man sie einem lieben Menschen sagt, den man lange kennt, dem man aber selbst ein Unbekannter blieb…Deine Wurzeln reichen bis zum Beginn des letzten Jahrtausends vor Christus zurück… Deine Söhne – so glauben wir aus der Geschichte zu lesen – haben immer mehr den Frieden geliebt als den Krieg, und sie waren früher klug als andere etruskische Stämme, indem sie sich freiwillig dem jungen Rom beugten, dessen militärischer Stärke sie nicht wehren konnten. Ihre jahrhundertealte Erfahrung in Verwaltung, Rechtssprechung und Gottesdienst aber übergaben sie dem heranwachsenden römischen Weltreich und vieles davon hat die Pax romana mitgeprägt und ist so zu einem Grundstein der abendländischen Kultur- und Geisteswelt geworden…Doch dann, dann kam um die Mitte des 19. Jahrhunderts erst Deine große, hohe Zeit, für die Du solange Dich bewahrt hattest. Und es erfüllt mich immer wieder mit tiefer Freude, daß der Rufer, der Dich weckte, ein Bayerischer Kunstfreund war, ein Kurienkardinal in Rom zwar, früher aber Erzbischof von München und Freising, Kardinal Graf von Reischach. Er lehrte Deine Entdecker den sorgfältigen Umgang mit Grabschaufel und Spattel, auf ihn geht die Methodik zurück, mit der man Deine Totenstädte öffnete und erforschte…. Wer Dich (Cerveteri, Anmerkung des Verfassers) einmal fand, der wird Dich immer wieder suchen.“

Am 27. Juni 1973 unterschrieben die beiden Bürgermeister Dr. Angelo Marini und Willy Buchauer die Urkunde zur Städtepartnerschaft. Bei der Verschwisterungsfeier war die Jahnhalle in Fürstenfeldbruck bis auf den letzten Platz besetzt, unter den Gästen befanden sich beispielsweise der Landtagsabgeordnete Dr. Alfred Seidl, Dr. Valentini von der italienischen Botschaft, Landrat Gottfried Grimm sowie die Delegationen aus Cerveteri und Livry-Gargan. Marini sagte, dass man in Cerveteri von ganzem Herzen glücklich sei, sich mit Fürstenfeldbruck zu verschwistern. Er betonte, dass die Partnerschaft ein Baustein für das erstrebte Europa sein solle, in dem alle Völker glücklich leben.

In der nächsten Zeit fand zwischen Cerveteri und Fürstenfeldbruck ein reger sowie intensiver Austausch zwischen Gruppen, Einzelpersonen und den beiden Stadtspitzen statt. Vor allem Schülerinnen und Schüler, das Bayerische Rote Kreuz Fürstenfeldbruck, Kulturschaffende und Vereine beteiligten sich daran. Besonders ist die fruchtbare Rolle der Sportvereine aus den Bereichen Fußball, Handball und Wassersport hervorzuheben.

Die Städtepartnerschaften mit Cerveteri und Livry-Gargan trugen zur Internationalisierung von Fürstenfeldbruck nach dem Zweiten Weltkrieg bei.


Stadtarchivar
Dr. Gerhard Neumeier