Seine königliche Hoheit Kronprinz Rupprecht von Bayern und der Brucker Lausbub
Im Jahre 1946 wechselte ich als Ministrant von der Stadtpfarrkirche St. Magdalene zur Klosterkirche Fürstenfeld. Der dortige Kirchenrektor Pater Emmanuel OSB vom Kloster Ettal hatte neben seinen Ministranten die männliche katholische Jugend aufgebaut. Er verstand es großartig in uns Buben die Begeisterung für unseren Dienst am Altar, vor allem aber für den Glauben zu wecken. Unsere Gruppenstunden waren nicht selten ein besserer Religionsunterricht als der in der Schule. Dazu kamen tolle Wanderungen und in den Ferien Zeltlager. Amerikanische Soldaten vom Fliegerhorst fuhren uns mit Lastwagen an den Starnberger See und stellten uns Mannschaftszelte zur Verfügung. Für die damalige Zeit, da für mich Urlaub noch unbekannt war, eine große Besonderheit.
Sakristan war Bruder Markus, ein etwas einfältiger, älterer Laienbruder, der aber seine Aufgaben mit großer Begeisterung erfüllte. Am Sonntag, nach dem Gottesdienst, bat er uns immer die Turmuhr aufzuziehen. Eine mechanische Uhr, die durch drei Gewichte betrieben wurde und die täglich über Trommeln mit Kurbeln hochgezogen werden mussten. Für uns Buben natürlich eine willkommene Gelegenheit Kirchenspeicher und Kirchturm zu erkunden. Die Geschichte des Klosters Fürstenfeld, die Klosterkirche und ihre Ausstattung lernten wir im Rahmen unserer Jugendarbeit durch unseren Gruppenleiter und Pater Emmanuel kennen.
Als die Ettaler Mönche Fürstenfeld verließen bat mich der nun zuständige Stadtpfarrer von St. Magdalena, Dr. Martin Mayr, die ehrenamtliche Stelle des Sakristans an der Klosterkirche Fürstenfeld zu übernehmen. Gerne sagte ich zu. Meine Aufgabe bestand darin, früh um ¾ 7 Uhr die Kirche auf zu sperren, mit der Glocke zu läuten – sie wurde damals am Seil per Hand über ein Seil gezogen –, alles für die um 7 Uhr beginnende Eucharistiefeie vorzubereiten, zu ministrieren, dann aufzuräumen und die Gitter abzuschließen. Am Abend dann hieß es Uhr aufziehen, Blumen gießen und Frühmesse vorbereiten. Außer den im Pfarramt verwahrten Kirchenschlüsseln hatte auch der Pförtner der Polizeischule einen – der Eingang war damals noch vom Kirchenvorplatz aus – und ich.
Damals begann ich gerade meine Lehrzeit als Sozialversicherungsfachangestellter bei der Landkrankenkasse an der Philipp Weiß Straße und nahm meinen Dienst sehr ernst. Eines Tages rief mich der Pförtner der Polizeischule gegen ½ 12Uhr an, ich soll sofort nach Fürstenfeld kommen. Seine Königliche Hoheit Kronprinz Rupprecht sei eingetroffen und möchte die Kirche besichtigen. Er könne nicht aufsperren, weil sein Kollege mit den Schlüsseln im Turm sei um Taubennester auszunehmen. Ich wollte ihm erklären, dass ich erst ab 12 Uhr, dem Beginn meiner Mittagspause, kommen könne. Er wollte mir erklären, dass ich Lausbub seine Königliche Hoheit nicht warten lassen könne. Und so diskutieren wir einige Minuten ergebnislos, bis mein Chef, Oberverwalter Bauer, darauf aufmerksam wurde. Herr Bauer war der Typ des ruhigen, bedächtigen und gewissenhaften, ehemals königlich bayerischen Beamten. Als ich ihm den Sachverhalt erklärte wurde er wütend, zog mit dem Arm aus und wollte mir eine Ohrfeige verpassen. Er brüllte mich an: „Du Rotzbua, willst seine Königliche Hoheit warten lassen, schau dass du schnelle nach Fürstenfeld kommst“. So schnell habe ich meinen Arbeitsplatz nie wieder verlassen.
In Fürstenfeld angekommen erwartete mich der würdig wirkende Herr mit einem Begleiter. Ich schloss das Gitter auf und machte eine tiefe Verbeugung vor ihm. Sein Begleiter wollte ihm die Ausstattung der Klosterkirche erläutern. Da schob ihn der greise Herr mit einer dezenten Handbewegung zur Seite und bat mich ihn zu führen. Das tat ich, so gut ich es eben konnte. Seine Königliche Hoheit hörte mir aufmerksam zu. Irgendwie glaubte ich zu spüren, dass es dem hohen Herrn Spaß bereitete, was ihm dieser knapp 18 Jahre alte Bub erzählte. Am Ende der Führung erhielt ich von ihm 5 DM Trinkgeld. Ein fürstliches Honorar für ½ Stunde, wenn man bedenkt, dass meine Lehrlingsvergütung 70 DM monatlich betrug.
Mit dem Trinkgeld kaufte ich einen Alu – Kessel worin wir bei unseren Gruppenfahrten der katholischen Jugend Tee und Erbsensuppe kochen konnten. Dieser tat noch lange nach meinem Ausscheiden aus der Jugendarbeit seinen Dienst, aber niemand wusste mehr, dass es ein königliches Geschenk gewesen war.
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