Beitrag RathausReport Juni 2021: Die „Neue Bühne Bruck“ 1985 bis 1988

Im Jahr 1984 gab es in Fürstenfeldbruck zwei Bühnen, das „Theater 5“ und „Zettels Kinder“, die sich beide dem ernsthaften Theater verschrieben hatten und beispielsweise Stücke von Friedrich Dürrenmatt oder Albert Camus aufführten.
In diesem Jahr 1984 wurde ein neues Theater gegründet, die „Neue Bühne Bruck“, seit dem September wurde geprobt. Der Gründer war Harald Molocher, der im Jahr 1954 geboren wurde, er machte auf dem Gymnasium in Weilheim Abitur. Seit dem Jahr 1981 unterrichtete er als Lehrer am Graf-Rasso-Gymnasium, seine Fächer waren Sport, Sozialkunde, Psychologie, Kunst und Theater. Molocher war in Fürstenfeldbruck bald Mitglied beim „Theater 5“. Er arbeitete mit dem in Gauting wohnenden Schauspieler Ulrich Frank zusammen, der bei dem neuen Theater in Fürstenfeldbruck Regie führte. Frank wurde im Jahr 1943 in Straßburg geboren, nahm Schauspielunterricht bei Hans Baur und hatte beispielsweise die Rolle als Sherlock Holmes in „Der Hund von Baskervielle“, er starb im Jahr 2017 in Gauting.

Im Januar 1985 wurde mit „Mensch Meier“ von Franz Xaver Kroetz in der Turnhalle des Graf-Rasso-Gymnasiums das erste Stück gegeben. Der im Jahr 1946 in München geborene Kroetz ist ein Regisseur, Schriftsteller, Theaterautor und Schauspieler, der seine Theaterlaufbahn im Jahr 1967 u.a. am Antitheater von Rainer Werner Faßbinder begann. Kroetz wurde von Marieluise Fleißer sowie Ödön von Horváth angeregt und schrieb Dialektstücke über sozial Unterprivilegierte, er war lange Jahre dem linken politischen Spektrum zuzuordnen.
Die „Neue Bühne Bruck“ wollte mit einer Mischung aus Laien-Darstellern und Profi-Regisseur einen neuen Weg gehen. In dem Kroetz-Stück aus dem Jahr 1976 versucht ein Fließbandarbeiter, sich in seinen Träumereien und Selbstgesprächen aus diesem Milieu herauszuheben, Frau und Sohn verlassen deshalb den Arbeiter schließlich. In dem Stück wurde unverfälschter bayerischer Dialekt gesprochen. Die Darsteller in Fürstenfeldbruck waren Harald Molocher als Vater, die Studentin der Theaterwissenschaft Monika Jäger als Mutter und der Schüler Bernd Aumiller als Sohn. Das Volksstück in drei Akten spielte im Münchner Mietskasernen-Milieu. Dieses Stück und die „Neue Bühne Bruck“ fanden in Fürstenfeldbruck ein geteiltes Echo, diejenigen Bevölkerungskreise, die sich das Stück im Theater ansahen, waren zumeist begeistert über den frischen Wind im Kulturleben der Stadt und stammten vorwiegend aus dem linken Milieu. Die „Neue Bühne Bruck“ zeigte auch Stoffe, an die sich größere Häuser nicht herantrauten.
Bei Molocher inszenierte beispielsweise Johanna Liebeneiner „Kalte Hände“ von Thomas Baum. Dieses Stück behandelt sexuellen Missbrauch innerhalb der Familie. Dieses Stück war in Fürstenfeldbruck ein großer Erfolg, bei einem renommierten Theater in München war es als zu prekär abgelehnt worden.
Im Jahr 1987 konnte die „Neue Bühne Bruck“ den beengten Raumverhältnissen entfliehen und spielte ab diesem Zeitpunkt in einem geräumigen Keller in der Malchinger Straße 4. Am 9. Januar 1987 war dort Premiere, das Eröffnungsstück war „Offene Zweierbeziehung“ aus dem Jahr 1983 von dem Italiener Dario Fo. Mit dieser Aufführung feierte die Regisseurin Karin Heym ihren Einstand, die bereits am Münchner Volkstheater Herbert Rosendorfers „Münchener Stadtminiaturen“ inszenierte und mit Peter Zadek zusammenarbeitete. Molocher spielte Luigi, einen typischen Vorstadtgigolo mit Goldkettchen. Die Frau von Luigi war Antonia, die von Rike Zumkeller gespielt wurde. Antonia quittiert jeden Seitensprung von Luigi mit einer hysterischen Szene und einem Selbstmordversuch. Luigi bietet zur Rettung der Ehe eine offene Zweierbeziehung an. Die Regisseurin Karin Heym ging behutsam auf die Charaktere des Stückes ein. Die erste Vorstellung war bereits drei Wochen vorher ausverkauft, der Eintritt kostete zehn Mark, für Schüler/innen und Studierende sechs Mark. Das Stück wurde in Fürstenfeldbruck ein großer Erfolg, auch der Bayerische Rundfunk brachte Ausschnitte in der Sendung „Zwischen Zwölf und Eins“.
Im April 1987 konnte die „Neue Bühne Bruck“ Carl Amery zu einer Autorenlesung gewinnen, der Theaterraum war fast voll besetzt. Amery las aus seinem neuen Roman „Die Wallfahrer“. Auch für weitere Kunstformen war das Theater aufgeschlossen, im Mai 1987 führte man „Piktors Verwandlungen“ von Hermann Hesse auf, ein Tanztheater mit Multivisionsshow. Die Produktion ging dicht an die Grenzen des organisatorisch und technisch Machbaren, die erste Vorstellung fand vor ausverkauftem Haus statt. Die sechsköpfige Band, die extra für diese Produktion formiert wurde, spielte melodiösen Rock aus der Feder ihres Gitarristen Jens Augustin.
Im Dezember 1987 wurde das Stück „Die Insel“ von Athol Fugard gegeben. Der südafrikanische Autor Fugard erzählt darin die Geschichte zweier Häftlinge, die mit der Gefängnisaufführung des Antigone-Stoffes Widerstand gegen eine ungerechte Staatsmacht demonstrieren. Die beiden Zelleninsassen John und Winston proben für einen Gemeinschaftsabend eine Aufführung der Antigone-Legende. Die „Neue Bühne Bruck“ holte sich für diese Aufführung den Gastregisseur Norbert Schulte vom Schauspielhaus Kiel. Harald Molocher spielte den John, Winston wurde von Rob van der Vlies, einen Absolventen der Theaterakademie Amsterdam, gespielt, das Bühnenbild stammte von Christoph Mayr.
 Im März 1988 fand das erste Brucker „Undergroundfilmfestchen“ statt. Beispielsweise wurden die Filme „Woyzecks Traum“, „bad blood for the vampire“ und „Rendezvous“ von Matthias Bruhn gezeigt. Die Geister schieden sich an dem Film „Nekromantik“, dessen Produzent Manfred Jelinski anwesend war. Der Besuch beim Filmfestchen war eher mittelmäßig.

Die „Neue Bühne Bruck“ wurde auch zum Politikum, denn im März 1988 lehnte der Kulturausschuss der Stadt in nicht-öffentlicher Sitzung mit 7:6 Stimmen einen höheren Zuschuss für die „Neue Bühne Bruck“ ab. Auf der Sitzung des Hauptausschusses der Stadt Fürstenfeldbruck ging es dann um die „Verletzung der Geheimhaltungspflicht“ durch die Stadträte Björn Steen (GUL), Klaus Quinten und Jens Streifeneder (beide BBV). Das Trio hatte sich in Leserbriefen über die Entscheidung des Kulturausschusses beklagt. Bürgermeister Max Steer (CSU) hatte daraufhin die drei Kommunalpolitiker schriftlich gerügt, die Spielregeln für die Nichtöffentlichkeit nicht beachtet zu haben. Steen verwies darauf, dass es sich bei der Zuschussangelegenheit um keine Frage handelte, die der Geheimhaltung bedürfe, Quinten äußerte sich noch deutlicher.

Im Mai 1988 gab die Neue Bühne das englische Stück „Hallo, wer dort?“ von dem britischen Autorenduo Keith Waterhouse und Willis Hall. Die Regisseurin Karin Heym entschied sich für die Beibehaltung des Milieus der Londoner Yuppie-Generation der 1980er Jahre. In dem Stück geht es um zwei Paare, die eigentlich nach allen Regeln der Vernunft miteinander auskommen könnten, wenn sie nur wollten. Inge Herdlicka brillierte als serviles Weibchen, Oliver Kübrich war mit seinem Teddygesicht das geborene Opfer, Harald Molocher spielte den Zyniker und kalten Geschäftsmann David. Rike Filipp-Zumkeller als Circe wollte als kühl berechnende Frau nur „wohldosierten“ Sex.

Im Mai 1988 genehmigte der Kultur- und Sozialausschuss nun doch einen höheren Zuschuss für die „Neue Bühne Bruck“. Molocher hatte 1,50 Mark pro Zuschauer beantragt, die ihm bewilligt wurden, zusätzlich bat er die Stadt darum, das letztes Jahr erwirtschaftete Defizit von rund 5.500 Mark zu begleichen.
m Jahr 1987 zählte man knapp 5.000 Besucher in der Neuen Bühne. Zum Antikriegstag im September 1988 hörten und sahen die 99 Gäste im Theaterraum der „Neuen Bühne Bruck“ Lieder, Gedichte und Szenen von Bertold Brecht, die Veranstaltung wurde vom DGB organisiert. Das Programm inszenierte Rob von der Vlies, die Text sprach der am Germeringer Max-Born-Gymnasium Englisch unterrichtende Lehrer Uwe Treplin, die Lieder sang Elisabeth Kann, die am Klavier von Eva Lautenbacher begleitet wurde. In dem Programm waren „Fragen eines lesenden Arbeiters“ und „Mutter Courage und ihre Kinder“ aus dem Jahr 1939 enthalten.
Im Oktober 1988 wurde „Liebe ist – eine Geschichte aus Troja“ von Christa Wolf aufgeführt. In dieser Liebesgeschichte zwischen der Tochter des trojanischen Königs Kassandra und Aineias spielten Elfriede Irral und Olaf Scheuring die Hauptrollen.

Dr. Gerhard Neumeier

Stadtarchivar