Beitrag RathausReport März 2022: Die Geschichte der Menschen aus der Ukraine in Fürstenfeldbruck

Es ist unbekannt, wann genau die ersten Ukrainerinnen und Ukrainer nach Fürstenfeldbruck zugewandert sind. Definitiv nachweisbar sind Zwangsarbeiter aus der zur Sowjetunion gehörenden Ukraine während des Zweiten Weltkrieges, nachdem die deutsche Wehrmacht im Jahr 1941 die Sowjetunion und damit die Ukraine mit einem mörderischen Angriffskrieg übersäte. Im August des Jahres 1944 mussten dann fast acht Millionen Zwangsarbeiter aus vielen europäischen Staaten für die NS-Diktatur schuften. Im Landkreis Fürstenfeldbruck waren zwischen den Jahren 1939 und 1945 etwas mehr als 6.000 Personen als Zwangsarbeiter beschäftigt, vor allem aus Polen, der Sowjetunion und Frankreich. Eine eigene Zusammenstellung speziell für die Ukraine existiert in den Quellen nicht. In allen 55 Gemeinden des Landkreises ließen sich Zwangsarbeiter belegen, in Fürstenfeldbruck waren es 426 Menschen. Diese Zwangsarbeiter waren beispielsweise in Fürstenfeldbruck bei der Deutschen Reichsbahn, beim Bau- und Betongeschäft Hoch, beim Hoch- und Tiefbau von Kaspar Hofmeier, beim Hoch- und Tiefbau H. Sitzmann & Sohn, bei der Obst- und Gartenbaugenossenschaft, beim Bezirksgarten des Landkreises, bei der Stadt Fürstenfeldbruck sowie in der Polizeischule beschäftigt.

In der letzten Kriegsphase existierten im Landkreis auch Zwangsarbeiterlager, in Fürstenfeldbruck gab es zwei kleinere Lager für Zivilarbeiter, eines davon beim Fliegerhorst und eines in der Buchenau. Nach der Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur lebten in allen Besatzungszonen sogenannte Displaced Persons, das waren ehemalige Häftlinge in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Zwangsarbeiter und weitere Personengruppen. Auch nach Fürstenfeldbruck kamen einige hundert Displaced Persons, vor allem aus Polen sowie aus der Sowjetunion, also auch aus der Ukraine, davon viele Jüdinnen und Juden aus dem ehemaligen Ansiedlungsrayon in Russland, in der Ukraine bzw. in der Sowjetunion. Einige dieser Menschen trugen auch dazu bei, dass in München nach dem Zweiten Weltkrieg eine relativ große ukrainische Exilgemeinschaft aufgebaut wurde.

Seit dem vorläufigen Abschluss des KSZE- Prozesses also seit der Mitte der 1970er Jahre, konnten vermutlich Ukrainer sowie Ukrainerinnen aus der Sowjetunion auch nach Fürstenfeldbruck ausreisen, um wie viele Menschen es sich handelte, kann bisher nicht verifiziert werden. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 sowie der Wiedergründung des ukrainischen Staates ebenfalls im Jahr 1991 wanderten Menschen vermehrt aus der Ukraine nach Fürstenfeldbruck, heute befinden sich weit mehr als 100 ukrainische Staatsangehörige in unserer Stadt. Hierzu gehörten auch einige Künstlerinnen und Künstler, zusätzlich traten Künstlerinnen und Künstler aus anderen Orten hier auf und zeigten ihre Kunst. Im Januar 2008 bestritt beispielsweise der aus der Ukraine stammende Pianist Daniel Kramer im Rahmen der Reihe „Jazz first“ sein erstes Konzert in Fürstenfeld. Im April des Jahres 2010 zeigten sechs Künstler aus der Ukraine in der Ausstellung „Annäherung“ in derKulturwerkstatt Haus 10 ihre Werke. Die Initiatorin dieser Ausstellung war die Künstlerin Ruth Strähuber, die am Anfang der 1990er Jahre an der Akademie in Kiew studiert hat. Im Februar 2012 wurde die „Aktion Fastenopfer – Hoffnung für Osteuropa“ der evangelischen Landeskirche in Fürstenfeldbruck eröffnet, daran nahmen auch zwei Bischöfe aus der Ukraine und Polen teil, ein Ehrengast war Bischof Uland Spahlinger aus der Ukraine. Mit den Spenden wurde im polnischen Ort Sorkwity ein internationales Zentrum für Kinder und Jugendliche aufgebaut. Im Oktober 2012 traten die Stadtkapelle Fürstenfeldbruck und die Blasmusik Schöngeising in Nikolaev in der Ukraine auf, ein Beispiel für europäischen Kulturaustausch. Im Januar des Jahres 2013 investierte der aus der Ukraine stammende und in Kanada lebende Bauunternehmer Pavel Malamura eine sechsstellige Summe in den SCF. Im November 2013 besuchte eine Fürstenfeldbrucker Delegation die Stadt Nikolaev, der Initiator war Paul Roh, der Dirigent der Stadtkapelle. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Universität von Nikolaev und des 20-jährigen Bestehens des deutschen Vereins „Wiedergeburt“ sollte zwischen den beiden Kommunen Nikolaev und Fürstenfeldbruck ein kultureller und studentischer Austausch entstehen.

Eine besondere Rolle für die Ukraine spielte und spielt seit langer Zeit die selige Edigna, die eine Tochter von König Heinrich I. von Frankreich und von der Fürstin Anna von Kiew war. Im Februar 2007 besuchte der ukrainische Staatspräsident Juschtschenko im Rahmen eines Deutschlandbesuches die Edigna- Linde in Puch. Im März 2007 übergab der ukrainische Generalkonsul ein Geschenk von Juschtschenko an Puch, es handelte sich um eine Ikone für die Kirche St. Sebastian in Puch. Im August 2011 schenkte die Künstlervereinigung Fürstenfeldbruck der Stadt eine von dem ukrainischen Bildhauer Pavlo Popsuiev gefertigte Statue der seligen Edigna. Die Holzplastik wurde in der Landwirtschaftsschule Puch aufgestellt. Im Jahr 2014 annektierte Russland völkerrechtswidrig die zur Ukraine gehörende Halbinsel Krim, vermutlich verließen seit diesem Zeitpunkt von dort Menschen ihre Heimat und zogen nach Fürstenfeldbruck.

Der am 24. Februar 2022 gestartete russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat nun zur Folge, dass ukrainische Flüchtlinge auch nach Fürstenfeldbruck kommen, da nicht wenige Menschen aus der Ukraine hier schon Verwandte und Freunde haben. Die Stadtgesellschaft in Fürstenfeldbruck sollte alles tun, um diese ankommenden Menschen auf vielfältige Weise zu unterstützen.

 

Stadtarchivar

Dr. Gerhard Neumeier